Stücke
Grand Hotel Bogotá
Grand Hotel Bogotá, Uraufführung am 14. September 2012 am Staatstheater Darmstadt.
Sechs Menschen in einem Hotel. Jeder kennt jeden: nur allzu gut, scheint es. Alarmiert werden die Sechs eines Morgens durch die Nachricht, der Schriftsteller Mandelkern sei im Hotel ermordet worden. Nervosität greift um sich. Könnte tatsächlich einer der Sechs Mandelkerns Mörder sein? Wer wäre dazu imstande? Gracia, erfolgreiches Model und angehende Romanautorin, hat den Toten besser gekannt, als es ihrem Lebensgefährten, dem Fotografen Alfred, lieb ist – und in ihrer Beziehung kriselt es ohnehin. Der Maler Luis umwirbt die kapriziöse Geigerin Lisa – die sich ihm ebenso entschieden verweigert. Der Modeschöpfer Jean-Luc, ein Mensch mit empfindlichen Sensorien, hat Mandelkern ebenfalls besser gekannt, als er zugibt – er wird von der Luxusdirne Catherine umgarnt, die seine Muse werden will.
24 Stunden lang schmoren die Sechs im eigenen Saft. Beziehungskrisen köcheln vor sich hin. In einer Performance, die Züge eines archaischen Rituals trägt, beschwören sie ihre Unschuld. Dennoch stehen Verdachtsmomente hartnäckig im Raum. Es ist offensichtlich: Die Sechs benötigen professionelle Hilfe. Aber wo bleibt Dr. Schrödinger, der ermittelnde Polizist?
"Im Kern ist 'Grandhotel Bogotá' vor allem Spiel, eine Versuchsanordnung, in der die Protagonisten einander in wechselnden Konstellationen wahre, erfundene oder aus Filmen abgeschaute Geschichten erzählen, sich verdächtigen oder verdächtig machen, begehren, demütigen, reizen, umgarnen und mit herzerfrischender Leidenschaft verachten." — Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.09.12
"Verwirrt und ein bisschen ratlos bleibt der Zuschauer zurück. Nach knapp eineinhalb Stunden ist die Uraufführung von 'Grandhotel Bogotá' an den Kammerspielen Darmstadt zu Ende. Was wie ein Krimi beginnt, wendet sich im Laufe des Spiels zu einem Bündel an Psychogrammen der Protagonisten. Eine Lösung muss jeder für sich selber finden. Martin Krumbholz hat in seinem ersten Theaterstück ein ungeheuer dichtes, vielleicht zu dichtes Textwerk entworfen." — Main-Echo 17.09.12
"Mit 'Grandhotel Bogotá' wagt der Debütant eine Reise in die Vergangenheit der geschlossenen Räume des Film noir und französischen Existenzialismus. Der Text ist aber mehr eine Versuchsanordnung, weniger ein Theaterstück. Krumbholz muss sich fragen lassen, warum er seinem geschlossenen Kammerspiel eine ephemere Krimihandlung à la Agatha Christie verordnet, die seine Figurenkonstellation gar nicht nötig hat." — Süddeutsche Zeitung 25.09.12
"Martin Krumbholz ist nicht Agatha Christie, und wenn er ans Kino denkt, fallen ihm Luis Bunuel ein oder die Filme der Nouvelle Vague. Überhaupt lässt sich 'Grandhotel Bogotá' lesen als eine Schnitzeljagd des Vertrauten, das aber nie ganz greifbar wird. Freilich gehen von dieser intellektuellen Spielerei keine dramatischen Impulse oder auch nur Deutungsvorschläge aus." — Darmstädter Echo 17.09.12
"Die Sache funktioniert nicht. Eine Totgeburt." — Frankfurter Neue Presse 19.09.12
"Wie auf einer lebhaften Kreuzung begegnen sich in der Figur Alfred Chandlers Phil Marlowe und Bill Burroughs. Literatur und romanhafte Wirklichkeit fusionieren in diesem zwischen Traum und Film noir changierenden Charakter. Alfred ist der großartige Erzähler einer Andersweltepisode von Martin Krumbholz. Sein 'Grandhotel Bogotá' spielt mit den Chancen der Kunst als tödliche Konkurrenz auf der Bühne der Darmstädter Kammerspiele." — Frankfurter Rundschau 17.09.12
"Die Gäste des Grandhotels sind auf mehr oder minder deutliche Weise in die Ereignisse um Mandelkerns Tod verstrickt und werden damit letztlich zu Mitschuldigen. Alle fürchten die Befragung durch den Kommissar wie ein über ihnen schwebendes Damoklesschwert und beginnen deshalb, sich gegenseitig Wahrheiten und Vorwürfe an den Kopf zu werfen oder sich zu rechtfertigen. (…) Die existenzielle Situation der – heutigen? – menschlichen Gesellschaft lässt sich genau mit diesem Warten auf eine Rechnung für die Schuld der Vergangenheit beschreiben. Das kann man ökonomisch auf die Schuldenkrise(n), ökologisch auf den Klimawandel oder moralisch auf Krieg und Terror beziehen. Krumbholz verzichtet jedoch auf eine explizite Zuschreibung und überlässt sie dem Zuschauer. Seine einzige Pointe besteht darin, dass Hoteldirektor Speck und Dr. Schrödinger das Konzert von Lisa besuchen werden. Ist sie die einzige 'Gerechte'?" — Internet-Magazin "Egotrip" September 2012
dON jUAN (nach einer Komödie)
Sie sind ein ungleiches Paar: Der weltgewandte Sachbuchautor Jan Felliger, der ein Buch über „Don Juan und Don Quichote“ geschrieben hat, und die Zahnarzthelferin Martina Rasch. Eines Abends, am 11. April, ist in Raschs Wohnung etwas geschehen, das mindestens eine Grenzüberschreitung, möglicherweise aber ein handfestes Verbrechen war. Die beiden Beteiligten erinnern sich unterschiedlich an den Hergang. Will Felliger eine Straftat verwischen, will Rasch dem Geliebten, der sie enttäuscht hat, etwas anhängen, das er so keineswegs getan hat – oder ist es etwas Drittes, ein Grenzfall zwischen Sexualdelikt und halb einvernehmlichem Handeln im Rausch?
Nur die Beteiligten, und vielleicht nicht einmal sie, kennen die Wahrheit. Und nur bedingt sind sie willens, diese preiszugeben. Zwei Außenstehende versuchen durch insistierendes Befragen den Hergang zu klären: Die Polizistin Felicia Braun, die Felliger verhört, und der Therapeut Morlok, der sich der gepeinigten Martina Rasch annimmt. Auch auf dieser Ebene verwischen die Rollen von „Täter“ und „Opfer“: Braun und Morlok sind aktiv Handelnde, die aufklären bzw. heilen wollen, sie werden aber auch zu Adressaten der jeweiligen Selbstinszenierungen von Felliger und Rasch. Der eloquente Jan Felliger umgarnt die Polizistin mit der selbstgewissen Konstruktion eines heutigen Don Juan, der einen autonomen Lebensentwurf entwickeln möchte, während Martina Rasch scheinbar mit entwaffnender Naivität eine Idylle der Zweisamkeit aufzeichnet und ihr nachtrauert. Wem kann man trauen? Ist der smarte Felliger ein Schuft, der sich aus allen Beschuldigungen geschickt herauswindet? Ist Rasch in Wahrheit eine gewiefte Lügnerin, die ihrem Intimfeind einen Strick dreht? Oder sind beide letztlich Opfer einer Verabredung zur Libertinage, die so nicht funktionieren kann?
Sogar Braun und Morlok bleiben im Lauf der Gespräche nicht auf sicheren Gleisen. Während die Polizistin dem Verdächtigen gegenüber nach und nach eine gewisse Empathie entwickelt, entdeckt der Therapeut auch den Detektiv in sich, der seine Klientin mit viel Spürsinn beinahe in eine Falle zu locken scheint. „dON jUAN“ ist auf den ersten Blick ein einfach konstruiertes, ganz auf den Dialog focussiertes Spiel – die Gespräche sind parallel montiert -, aber in den Fallstricken „hoher“ und „niederer“ Rhetorik könnte der Zuschauer sich auch schon einmal verfangen. Und die Frage nach der Wahrheit bleibt – wie in ähnlich gelagerten realen Fällen – bis zum Ende offen.